Der letzte Streich.

Novellette von Paul Bliß.
in: „Stralsundische Zeitung, Sonntagsbeilage” vom 30.01.1898


Pünktlich um fünf Uhr betrat Herr von Seefeld das Atelier seines Sohnes. Langsam kam der alte Herr, ein stattlicher Sechziger in tadellos vornehmer Toilette, näher, nickte den kleinen Modellmädchen vertraulich lächelnd zu, und reichte ndann seinem Sohne, der vor der Staffelei saß grüßend die Hand, indem er sagte: „Du hast mich zu sprechen gewünscht, lieber Egon, — da bin ich.”

Der alte Herr nickte nur, legte dann Hut, Stock und Handschuhe ab, und während er eine neue Chantant-Melodie summte, trat ber in den Nebenraum ein.

Kaum zwei Minuten später kam auch Egon. Er begann: „Lieber Papa, es thut mir unendlich leid, aber ich muß Dich wieder einmal dringend bitten, Deine Ausgaben einzuschränken. Wenn Du fortfährst, das Geld derart leicht auszugeben, wie das bisher geschehen ist, dann sind wie Beide in einem Jahre ruinirt.”

Lächelnd entgegnete der alte Herr: „Also wie gewöhnlich, lieber Junge, eine Moralpauke.”

Egon aber sprach liebevoll, doch ernst. „Lieber Papa, nimm doch die Sache weniger leicht. Du scheinst nicht zu wissen, daß unser Vermögen fast aufgebraucht ist. Und wenn ich mit meinen Bildern nicht ein so gutes Geschäft machte, dann müßten wir längst am Hungertuche nagen.”

„In der That, lieber Jungen, das wußte ich nicht. Du weißt ja selbst, daß ich keinen Sinn dafür habe. Und seit Du nun Schatzmeister bist, kümmere ich mich schon gar nicht mehr darum.”

„Um so weniger darfst Du mir also zürnen, wenn ich Dir nun einmal klaren Wein einschänke.”

Lachend rief der Papa: „Aber nein, Jungchen, ich zürne Dir auch gar nicht, ich verspreche Dir sogar, daß ich von nun an besser wirthschaften werde, nur heute muß ich Dich noch einmal kränken, — pumpe mir dreitausend Mark.”

Egon war starr. Er wußte nicht, sollte er lachen oder ärgerlich werden.

„Ich muß das Geld haben, Jungchen! Frag' nicht wozu, sondern glaube meiner Versicherung. Und wenn Du mir den Mammon anstandslos bewilligst, dann gebe ich Dir mein Ehrenwort, es wird der letzte Streich gewesen sein, den ich gemacht habe.”

Der Sohn besann sich einen Augenblick, dann sagte er: „Du kannst das Geld morgen abheben. Ich weise es sofort an. Aber ich halte Dich beim Wort, Papa!”

Ohne etwas zu erwidern, kam der alte Herr zu seinem Sohn und umarmte ihn. Endlich antwortete er mit leise zitternder Stimme: „Ich danke Dir, mein lieber Junge!” Dann verabschiedete er sich.

Als Egon am andern Tage zum Diner ging, erwartete er den Vater vergebens. Darüber beunruhigte er sich, ging sofort in die Wohnung des alten Herrn und erfuhr dort zu seinem größten Erstaunen, daß Papachen mit dem Ein-Uhr-Zuge abgefahren sei. Kein Mensch wußte wohin. Nur die alte „Schmollern”, die dem alten Herrn, seit er Wittwer war, die Wirthschaft führte, meinte lächelnd: „Muß wohl wieder sehr was Lustiges sein, denn der Herr Baron war äußerst fidel und aufgekratzt.”

Nachdenklich ging Egon fort. Er kannte seinen Papa nur zu gut. Jetzt würde eine Woche vergehen, ohne daß der alte lebenstolle Herr auch nur das geringste Zeichen von sich gab, und dann, wenn das Geld zur Neige ging, dann stellten sich die Bitt- und Brandbriefe ein. So war es ja seit dem Tode der guten Mutter nun schon sechs Jahre gegangen. Was daraus werden sollte? Er wußte es selbst nicht.

Eine Stunde später klagte er seinem einzigen Freunde seine Noth.

Dieser entgegnete lächelnd: „Weißt Du, lieber Egon, der alte Herr ist viel zu viel sich selbst überlassen. Du thätest wirklich am gescheitesten, mit ihm gemeinschaftliche Wohnung zu nehmen, Oder besser noch, Du heirathest und schaffst Dir ein trauliches Heim. Dann muß der alte Herr seine Tage bei Euch beschließen. Und wenn er stets so ein hübsches Frauchen um sich sieht, dann wird er sich wohl bald ans Zuhausebleiben gewöhnen lernen.”

Egon nickte. „Du hast recht. Die Lösung wäre die denkbar einfachste. Aber wo finde ich eine Frau für mich?”

„Nur ernsthaft wollen, lieber Freund, dann findest auch Du, was Du suchst.”

Der junge Maler schwieg. Er dachte an das Leben, wie er es führte. Einsam, der ernsten Arbeit war es gewidmet, seit er die gute Mutter verloren hatte. Er hatte nie Zeit gehabt, sich viel mit Liebesgedanken herum zu tragen, und seit der Papa sich dem alten, lustigen Leben wieder hingegeben hatte, waren die Sorgen nur noch größer geworden. Nun mußte er für zwei arbeiten. Daß dabei die schönste Kraft und Zeit seines Lebens hin ging, das hatte er nie ernsthaft bedacht. Er liebte seinen Vater, und als das bischen Vermögen zu Ende ging, da war es für ihn ganz selbstverständlich, daß er nun für die Bedürfnisse des alten Herrn Sorge tragen müsse. So war das all die Jahre hindurch gegangen, und jetzt zum ersten Mal fühlte er, daß es nun so nicht mehr weiter gehen könne. Er war nun bald an die Dreißig heran. Nun mußte eine Aenderung eintreten. Diesen Gedanken wurde er nicht mehr los.

*           *           *

Acht Tage später kam wirklich die erwartete Nachricht von dem alten Herrn. Er befände sich in Wiesbaden und es ginge ihm wieder ganz vortrefflich. Sonst kein Wort der näheren Erklärung.

Egon wurde immer erstaunter. Er witterte einen neuen Streich des guten Papas, und er überlegte schon ernsthaft, ob er nicht lieber hinfahren und den alten Herrn zurückholen sollte, als plötzlich der Brief eines Vetters eintraf.

Eben dieser Vetter war über Wiesbaden nach dem Süden gegangen, und der hatte ungefähr Folgendes geschrieben: „Mein lieber Egon, komm' so schnell als möglich. Papa macht hier der kleinen Bellini dermaßen den Hof, daß hier allgemein das Gerücht geht, er werde sich demnächst mit ihr verloben.”

Egon war im ersten Augenblick vollständig rathlos, so verblüffte ihn diese neue Hiobspost. Das hatte er denn doch nicht von dem alten Herrn erwartet!

Von seinem Freund erfuhr er, daß die „kleine Bellini” ein neu entdeckter Stern, eine Sängerin mit keiner Vergangenheit, aber mit um so größerer Zukunft sei, die eigentlich auf den schlichten Namen Krause höre, und die infolge ihrer Anmuth und Naivetät den Herren der großen und kleinen Welt die Köpfe verdrehe.

Mit dem nächsten Zuge fuhr Egon nach Wiesbaden,

Als der alte Herr seinen Sohn so urplötzlich vor sich stehen sah, wurde er doch etwas kleinlaut und verlegen.

„Ich weiß Alles, Papa,” sagte Egon ernst und energisch, „und ich bitte Dich dringend, gleich mit mir zurück nach Hause zu kommen.”

Da aber fand der lebenslustige Alte seinen Humor wieder und entgegnete lächelnd: „Nein, mein Jungchen, das giebt's nun nicht! Ich will noch einmal das Glück beim Schopf fassen”

„Aber Du bist sechzig Jahre, Papa! Du darfst nicht noch einmal heirathen!”

„Obschon ich bereits sechzig Jahre bin, ist mir das Herz dennoch jung geblieben, und deshalb werde ich auch noch einmal heirathen. Gieb Dir also keine Mühe weiter. Du weißt, daß ich ausführe, was ich mir vorgenommen habe.”

Egon schwieg. Er wußte, daß er mit Güte nichts erreichte, denn er kannte seinen Vater, es blieb also nur noch ein Gewalt-Mittel. Denn stattfinden durfte diese Heirath unbedingt nicht.

Am Nachmittag lernte er seine zukünftige Mama kennen. Fräulein Lilli Bellini war ein lustiges, braunhaariges Mädel von dreiundzwanzig Jahren, ihr Gesicht war ebenmäßig und schön, und wenn sie lachte, sprühte eine ganze Welt von Lebensfreude aus den braunen Augen.

Natürlich stellte der alte Herr seinen Sohn vor, unc nach wenigen Stunden bereits waren die jungen Leute bekannt und unterhielten sich prächtig.

Egon war entzückt. Das Fräulein gefiel ihm ganz ausnehmend. Nur als Mama wollte er sie nicht haben.

Nun war sein Plan fertig.

Von der Stunde an begann er, dem schönen Mädchen den Hof zu machen, was ihm auch ausnehmend leicht wurde, denn bereits am zweiten Tage merkte er, daß er verliebt und zwar ernsthaft verliebt war.

Der alte Herr sah gar bald, was er angerichtet hatte. Zwar ließ er noch nicht die Hoffnungen sinken, aber einen Nebenbuhler, der ihm das Kostbarste, die Jugend, voraus hatte, durfte er nicht unterschätzen. Und darum versuchte er alles Mögliche, die jungen Leute auseinander zu halten.

Aber das gelang ihm fast niemals.

Egon war wie umgewandelt. Aus dem stillen Arbeitsmenschen war ein flotter Lebemann geworden, dem die Lust zu leben aus den strahlenden Augen leuchtete. Und all die Liebe und Leidenschaft, die so lange in seiner Brust geschlummert, nun war sie erwacht, aufgeweckt durch zwei braune Schalksaugen, durch einen rothen, süßen Mund, und ein silberhelles Freudelachen. Er liebte zum ersten Mal in seinem Leben. Und er machte, nun er das wußte, auch gar kein Hehl mehr daraus.

Das Fräulein, das ihn lieber kommen als gehen sah, ermunterte ihn nur noch, denn auch sie hatte den flotten, jugendstarken Mann bald lieb gewonnen.

Je mehr das Liebesverhältniß der beiden jungen Leute sich entwickelte, desto mehr wurde der alte Herr kalt gestellt, was dieser grollend dulden mußte.

Eies Tages sagte Egon zu dem Fräulein: „Sagen Sie mir, gnädiges Fräulein, hätten Sie wirklich den Antrag meines Papas angenommen, wenn er um Sie geworben hätte?”

Da rief sie lachend: „Wer weiß, was geschehen wäre! Der alte Herr hat mir von allen meinen jungen und alten Courmachern am besten gefallen,” — und dann setzte sie neckisch hinzu — „vielleicht weil er Ihr Papa ist!”

Da nahm Egon die schmale weiße Hand und küßte sie, und als das junge Mädchen darauf erröthend sich ihm entziehen wollte, da nahm er es in seinen Arm und gab ihr den ersten Kuß auf den Mund.

Eine Stunde später traten sie vor den alten Herrn hin und erbaten seinen väterlichen Segen.

Herr von Seefeld, der all das ja hatte kommen sehen und im Stillen auch, so schwer es ihm zwar wurde, schon resignirt hatte, legte nun die Hände der beiden jungen Leute ineinander und sagte, indem er seinen Humor wiederfand: „Jedenfalls darf ich mich mit der Beruhigung trösten, daß ich hier durch meine berühmte und berüchtigte Tollheit ein wahrer Glücksstifter geworden bin, und das thut wohl!” Dann trat er hinzu und küßte die glückstrahlende Braut, indem er lächelnd sagte: „Väterlich, rein väterlich.”

„Sie sind auch wirklich ganz ungefährlich, Herr Baron,” rief die Kleine lachend aus, „jetzt, nun Sie mein lieber Papa werden, kann ich es Ihnen ja sagen, daß Sie einen riesigen Korb bekommen hätten!”

Der alte Herr drohte nur lächelnd.

Egon aber nahm seine kleine Braut, umfaßte und küßte sie wieder und wieder, so daß Papachen sich heimlich fortstehlen mußte, um seinen unterdrückten Schmerz nicht zu zeigen.

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